Die Entwicklung des Gewindes

Vom Schraubstock bis zur Raumfahrt

Das Gewinde: Eine scheinbar einfache Form, die unser modernes Leben im wahrsten Sinne des Wortes zusammenhält. Ob in der Maschine, am Auto oder in der Raumfahrttechnik: Ohne die präzise Verbindung von Mutter und Schraube wäre kaum eine technische Errungenschaft möglich gewesen.
Dabei reicht die Geschichte dieser genialen Erfindung weit über die industrielle Revolution hinaus – bis in die Antike.


Die Anfänge: Archimedes und die Schraube des Lebens

Bereits um 250 v. Chr. entwickelte Archimedes die sogenannte Schraube zur Wasserförderung – ein schräg gewundenes Rohr, das Flüssigkeiten aus tieferen Schichten nach oben befördern konnte.
Auch wenn sie noch kein Gewinde im modernen Sinn war, legte sie den Grundstein für das Prinzip der Drehbewegung mit Steigung.

Erst viele Jahrhunderte später erkannte man, dass dieselbe Idee auch zur Kraftübertragung und Befestigung dienen konnte. Die ersten echten Schraubenverbindungen entstanden in der Renaissance, gefertigt in mühsamer Handarbeit – jede ein Unikat.


18. und 19. Jahrhundert: Vom Handwerk zur Industrie

Mit dem Beginn der Industrialisierung änderte sich alles.
Die Dampfmaschine brachte Bewegung in die Werkstätten, und mit ihr entstand der Bedarf an standardisierten Verbindungselementen.

Im Jahr 1797 entwickelte Henry Maudslay in England die erste Drehmaschine mit Leitspindel – das Werkzeug, das das präzise Schneiden von Gewinden erstmals ermöglichte.
Damit wurde die Massenproduktion von Schrauben Realität.

Wenig später definierte Joseph Whitworth die ersten standardisierten Gewindeprofile, ein Meilenstein für die Mechanik. Seine Idee: Schrauben verschiedener Hersteller sollten zueinander passen – ein Gedanke, der die Welt des Maschinenbaus revolutionierte.


20. Jahrhundert: Normen und Präzision

Mit der wachsenden Industrialisierung kam der Wunsch nach internationaler Vereinheitlichung.
So entstanden die bekannten ISO-, DIN- und UNC-Gewindenormen, die bis heute gelten.
Die 1920er- und 1930er-Jahre brachten neue Werkstoffe und Schneidverfahren hervor, darunter Hochgeschwindigkeitsstahl (HSS) und später Hartmetall.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte sich die Entwicklung: Gewindeschneiden wurde automatisiert, Werkzeugmaschinen immer präziser.
Was einst stundenlange Handarbeit bedeutete, erledigte nun eine Maschine in Sekundenbruchteilen.


Vom analogen zum digitalen Gewinde

Heute ist das Gewindeschneiden Teil hochautomatisierter Prozesse.
CNC-Maschinen schneiden, fräsen oder formen Gewinde mit Mikrometergenauigkeit – oft überwacht durch Sensorik, die Drehmoment, Temperatur und Schnittkraft in Echtzeit misst.
Selbst in der Raumfahrttechnik und Mikrofertigung bleibt das Prinzip gleich: Eine präzise, wiederlösbare Verbindung, die enormen Belastungen standhält.

Zukunftsweisend sind auch additive Verfahren – also 3D-Druck mit integrierten Gewinden. Sie zeigen, dass das alte Prinzip der Schraube selbst in der modernen Fertigung immer wieder neu erfunden wird.


Gewinde als Symbol der Präzision

Das Gewinde steht für mehr als nur Technik.
Es ist ein Symbol für Verlässlichkeit und Wiederholbarkeit – Eigenschaften, auf die sich Ingenieure seit Jahrhunderten verlassen.
Vom hölzernen Schraubstock der Antike bis zu Titanverbindungen in Raumkapseln: Das Gewinde ist ein stiller Begleiter jeder technischen Revolution.

 

💡 Praxistipp: Achte bei historischen oder seltenen Maschinen darauf, dass die Gewindenormen bekannt sind, bevor Ersatzteile gefertigt werden.
Schon kleine Unterschiede in Steigung oder Flankenwinkel führen zu Passungsproblemen – besonders bei Whitworth- oder Zollgewinden. Ein kurzer Blick in die alte Zeichnung spart oft viele Stunden Nacharbeit.